Auch wenn es die relativ warmen Temperaturen nicht vermuten ließen, war es schon wieder einmal Mitte November und es sollten fotoreiche Tage bei der Gamsbrunft bevorstehen. Wie schon die Jahre zuvor waren in meinem bevorzugten Revier im Karwendel die Wiesenhänge am oberen Rand des Latschengürtels noch schneefrei und so wusste ich genau, wo ich die Gamsrudel antreffen würde. Um diese Jahreszeit sind in dieser Region des Karwendels kaum mehr Wanderer am Weg und so machte ich mich in aller Ruhe an den Aufstieg. Als ich gerade auf einem versicherten Steig ein Felsband querte, hörte ich hinter mir Steine Richtung Tal flogen. Bevor ich noch an einen Steinschlag denken konnte, sah ich zwei Böcke auf mich zujagen. Da ich keine Möglichkeit hatte, auszuweichen, versuchte ich mit Armbewegungen auf mich aufmerksam zu machen. Ohne Reaktion stürmten die Böcke weiter auf mich zu. Erst wenige Meter vor mir, nahm mich der vordere Bock wahr und so hetzten die Böcke in nur 5 Meter Entfernung an mir vorbei und anschließend den Steig weiter bergwärts. Nun war ich so richtig auf die Brunft eingestimmt und machte mich wieder auf den Weg zum ersten Rudel.

Seit fünf Jahren besuche ich während der Brunft dieselben Rudel und so hat der eine oder andere Bock von mir einen Namen bekommen. Beim ersten Rudel sollten wir Bernhard, einen ca. 12 Jahre alten Bock antreffen. Dieser Bock ist äußerst gutmütig und hat so manchen Bergsteiger viel Freude nach einem anstrengenden Aufstieg bereitet und somit habe ich ihn nach dem Schutzpatron der Bergsteiger benannt. Über die Jahre ist mir aufgefallen, dass sich dieser Bock während der Brunft auch anders als die jüngeren Platzböcke der Nachbarrudel verhält. Der Hauptunterschied liegt sicherlich darin, dass er sein Rudel auf allerengsten Raum hält. Wenn sich Geißen entfernen treibt er diese nur aufgrund von Drohgebärden wieder zum Rudel zurück, wobei es nur sehr selten vorkommt, dass Geißen versuchen, sich zu entfernen. Dieser enge Rudelverband in Kombination mit der Dominanz des Bockes dürfte zur Folge haben, dass sich kaum ein anderer Bock zu diesem Rudel wagt. An über 20 Tagen kam es nur einmal zu einer Hetzjagd. Neben der Ruhe, die somit in das Rudel kommt, dürfte Bernhard auch einer der wenigen Böcke sein, der während der Brunft eher zunimmt als abnimmt. Wenn nicht gerade eine Geiß gedeckt wird, besteht der Tagesablauf in Äsen und Ruhen. Ganz anders die Kitze, diese brachten an einem Tag etwas Schwung in das Rudel. Über den ganzen Tag verteilt sprangen die Kitze immer wieder 180° Drehungen. Als ich gerade absteigen wollte begannen drei Kitze mit einer einminütigen Hetzjagd quer durchs Rudel, wobei die eine oder andere Geiß schnell zur Seite springen musste. An einem anderen Tag antwortete ein Kitz den ganzen Tag auf das Blädern des Platzbockes. Kaum verstummte der Bock, wurde das Kitz auch wieder ruhig.

Beim Nachbarrudel geht es während der Brunft schon ganz anders zu. Seit dort vor einigen Jahren der Platzbock erlegt wurde, wechselt bei dem Rudel immer wieder der Platzbock. Die eher jüngeren Böcke zeigten immer dasselbe Verhalten. Das Rudel erstreckt sich über eine große Fläche, wodurch der Bock schon zum Vertreiben eines Rivalen eine weite Strecke zurücklegen muss. Oft kommt es dabei zu ausgedehnten Hetzjagden hunderte Höhenmeter hinauf bis zum Grat. So kann es schon einmal vorkommen, dass das Rudel längere Zeit ohne Bock ist. Auch die Annäherungsversuche bei den Geißen sehen anders aus. Während Bernhard sich immer ruhig den Geißen annähert und sich vielleicht das eine oder andere Mal mit einer Drohgebärde hilft, jagen die jüngeren Böcke die Geißen teilweise oder nähern sich ihnen mit kurzen Zwischensprints an.

In einem Teil des Reviers mit hoher Bockdichte konnte ich über die Jahre hinweg eine weitere interessante Beobachtung machen. Hier stehen die Geißen innerhalb eines Rudels großflächig verteilt und bei einem Rudel stehen hier meistens mehrere Böcke. Bei starkem Schneefall machte ich heuer meinen letzten Fotostreifzug, dabei traf ich ein Rudel an, bei dem insgesamt fünf Böcke standen. Zu ein und derselben Zeit näherten sich drei der Böcke unterschiedlichen Geißen an. Solange die Abstände zwischen den Böcken groß genug waren ging es friedlich zu, doch wenn ein Bock einem anderen zu nahe kam, folgte eine Hetzjagd.

Auch wenn sich die Böcke in ihren Gewohnheiten unterscheiden, gibt es während der Brunft Verhaltensweisen, die allen gemein sind. Wenn es sich anbietet nutzt ein Bock die Gelegenheit, um sich zu präsentieren. Mit viel Mühe werden zahlreiche Duftmarken gesetzt. Die nassen Flanken der Böcke weisen auf das Brunftschütteln hin. Und wenn eine Geiß nässt, wird die Duftnote überprüft, gefolgt von langem Flehmen.

Die Gamsbrunft ist nun wieder vorbei aber ich freue mich schon darauf, was die nächste Brunft an Erlebnissen mit sich bringen wird.

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